Monika Haider: Das eigene Unternehmen in neue Hände geben

Monika Haider: Das eigene Unternehmen in neue Hände geben
Monika Haider (Foto: Christine Miess)

Nach 18 Jahren übergab Monika Haider, Gründerin der equalizent Schulungs- und Beratungs GmbH ihr Unternehmen überzeugt aber doch mit Wehmut einer neuen Geschäftsführerin. Im Interview teilt sie ihre Erfahrungen bei der Suche nach einer Nachfolgerin und gibt Tipps, wie dieser Prozess funktionieren kann.

Frau Haider, 18 Jahre nach der Gründung des Schulungszentrums für Gehörlose, equalizent Wien, übergaben sie kürzlich die Geschäftsführung an Marietta Adlbrecht. Wann haben Sie angefangen, sich mit dem Thema Nachfolge zu beschäftigen?
Schon vor fünf Jahren! Das mag früh erscheinen, aber ich kann jedem in der gleichen Situation nur raten, rechtzeitig zu beginnen. Zunächst gilt es zu klären, ob man die Firma verkaufen will oder ob sie von einer anderen Person geleitet werden soll. Relativ schnell wusste ich, ein Verkauf kommt für mich nicht in Frage.
Die nächste Frage war, ob eine firmeninterne Nachfolge möglich ist, ob jemand aus der Familie in geeignet und willens ist. Viele KMUs werden ja von Töchtern oder Söhnen weniger aus Interesse denn aus einem Pflichtgefühl heraus übernommen. Das sind aber keine guten Voraussetzungen, eine Firma nachhaltig weiter zu führen. Also entschied ich mich für eine externe Nachfolge. Dafür musste ich equalizent aber erst fit machen.

Können Sie das näher erläutern?
Ich habe mir angeschaut, welches Wissen standardisiert werden kann und muss. Das bestehende Know-how einer Firma muss aus den Köpfen der Mitarbeitenden in Standards gegossen werden, die für andere Mitarbeitende – auch zukünftige – zur Verfügung stehen. Ich spreche hier unter anderem von Schulungskonzepten, Methoden und Curricula. Aber auch Prozesse müssen vereinheitlicht werden.
In diesem Prozess entwickelten wir im Team ein Schulungskonzept für Neueinsteiger_innen, mit dem Wissen an neue Mitarbeiter_innen transferiert werden kann.

Ähnliches fand im Bereich der Schulungsunterlagen statt. Die Inhalte wurden - auf die Zielgruppe Gehörloser zugeschnitten - mit Videos aufbereitet, die visuell ausgerichtet und durchgängig in Gebärdensprache verfasst bzw. übersetzt sind.

Sie haben das equalizent ja gegründet. Fällt es Ihnen nicht persönlich sehr schwer, dieses „Baby“ abzugeben?

Natürlich ist bei der Übergabe einer Firma, die man selbst gegründet hat, auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung nötig. Es geht zunächst darum loslassen zu WOLLEN. Dafür habe ich mir schon vor langer Zeit ein externes Coaching geholt. So habe ich gelernt, dass loslassen nicht nur Verlust bedeutet, sondern auch Gewinn. Das war also der eher persönliche Prozess. Loslassen zu KÖNNEN ist aber noch etwas Anderes. Als Gründerin schafft man auch Abhängigkeiten, die einem gar nicht so bewusst sind. Also musste ich Strukturen gestalten, die unabhängig von mir funktionieren.
Für meine Nachfolge sind daher grundlegende Informationen in einem eigens verfassten Handbuch festgehalten. Das betrifft Managementstrukturen ebenso wie die Firmenphilosophie, das Wissen rund um Diversity Management etc.

Was war Ihnen wichtig bei der Nachfolger_in:
Es war mir wichtig, dass die neue Geschäftsführung sich mit einem sozialen Unternehmen identifizieren kann. Dem männlichen Führungsteam sollte auch unbedingt eine Frau als Geschäftsführerin vorstehen. Schließlich steht equalizent für gelebte Diversität. Gebärdensprache ist wichtig, kann aber bei entsprechender Bereitschaft erlernt werden. Das war also keine Bedingung. Erfahrung im Bereich Geschäftsführung und HR, sowie ein pädagogischer Background waren hingegen Grundvoraussetzungen, um das größte europäische Erwachsenenbildungsinstitut für Gehörlose zu führen.

Wie haben Sie die eigentliche Übergabe gestaltet?
Man kann eine Schlüsselübergabe machen, auch ein ein- oder mehrwöchiger Übergang ist nicht unüblich. Das waren aber alles Wege, die ich nicht zielführend fand. Meine Nachfolgerin Marietta Adlbrecht und ich haben letztlich 3 Monate parallel die Geschäfte geführt, bevor sie das Ruder allein übernahm. Das hatte den Vorteil, dass sich die Organisation umstellen konnte. Ich hatte die Gelegenheit, meine Nachfolgerin in den unterschiedlichsten Situationen zu erleben, und umgekehrt konnte Frau Adlbrecht noch viel aus dem Alltagsgeschäft lernen. Denn ich war schon so etwas wie der Klebstoff der Firma. Das System verändert sich durch so einen Wechsel ja enorm und wenn dieser Klebstoff wegfällt, muss sichergestellt werden, dass das System eine eigene Selbstständigkeit erreicht hat. Eine aktive Öffentlichkeitsarbeit ist auch von Vorteil, um die Nachfolgerin bei Stakeholdern und Kund_innen bekannt zu machen.

Was hat Sie in dem Prozess überrascht?
Ich dachte, die Beauftragung einer professionellen Headhunter-Agentur wäre bei der Nachfolgesuche der richtige Weg. Aber das hat sich nicht bewahrheitet, weil der Hintergrund ein anderer ist. Das equalizent deckt ein Nischenthema ab, es werden sehr spezielle Qualifikationen gebraucht und man muss die Philosophie auch wirklich verstehen, um passende Personen finden zu können. Das hat mit der Agentur einfach nicht geklappt. Das Wording des Inseratentextes war unpassend, die Plattformen, wo gesucht wurde ebenfalls. Erst als ich ein persönlich gehaltenes Inserat formuliert hatte, fanden sich passende Bewerber_innen. Für ein Nischenthema ist es daher besser das Recruiting selbst zu übernehmen und sich lediglich eine Beratung an die Seite zu nehmen.

Wie wird sichergestellt, dass die Übergabe NACHHALTIG ist?
Nach der dreimonatigen Übergangszeit hat Marietta Adlbrecht jederzeit die Möglichkeit, mich zu kontaktieren, um Fragen zum Alltagsgeschäft zu besprechen. Diese Kontaktaufnahme geht aber – wenn überhaupt - von ihr aus. Ich selber frage nicht nach, lasse meine Nachfolgerin in Ruhe arbeiten. Allerdings bleibe ich Gesellschafterin. In dieser Rollenaufteilung finden vierteljährliche Sitzungen mit strategischem und finanziellem Reporting statt.  Außerdem ist equalizent Wien als Pilot-Kompetenzzentrum Teil des international arbeitenden equalizent Social Franchise und daher in einem Netzwerk eingebunden. Das Social Franchise hat die Aufgabe, die 18 Jahre Expertise des Pilotzentrums in Wien nach Deutschland und in andere europäische Länder zu bringen. equalizent Kompetenzzentren gibt es bisher in Wien (seit 2004) und in Hamburg (seit 2021). Ziel ist, an vielen Orten, Gehörlosen eine Chance auf barrierefreie Bildung und einen inklusiven Arbeitsplatz zu ermöglichen.

Über das equalizent Kompetenzzentrum Wien
equalizent GmbH ist Europas größter Arbeitgeber für gehörlose Menschen. Das Institut bietet Schulungen und Beratung für gehörlose und hörende Menschen sowie für Unternehmen an. Unsere Ausstellung „HANDS UP – Erlebnis Stille“ macht das Thema Gehörlosigkeit erlebbar und trägt so zur Sensibilisierung bei. 2004 gegründet, arbeiten rund 60 Personen im Unternehmen, davon sind etwa 30% gehörlos. Das Schulungsinstitut ist bilingual (deutsch und Gebärdensprache), barrierefrei und lebt Diversity im Arbeitsalltag.
equalizent Wien ist als Pilot-Kompetenzzentrum Teil des equalizent Social Franchise.

Mag.a Monika Haider hat u.a. ein Diplom in Sozialpädagogik (1983), den Abschluss als Jugendleiterin (1985) und den Titel der Magistra der Pädagogik/Sonderheilpädagogik (1992). Sie ist hörend und gebärdensprachkompetent. Haider war in der Lehre u.a. am Bundesinstitut für Sozialpädagogik in Baden sowie an der Universität Innsbruck tätig. Sie wird regelmäßig als Expertin in Arbeitskreise oder Komitees berufen. Die gründete 2004 die equalizent Schulungs- und Beratung GmbH und bleibt weiter als Ballmutter des alljährlich stattfindenden Diversity Balls aktiv.

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